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Das Gute-Witze-Gesetz


Ein erneuter Witzeskandal erschüttert die Republik. Christian Lindner verabschiedete seine scheidende Generalsekretärin Linda Teuteberg auf dem Bundesparteitag mit den Worten: "Ich denke gerne daran, Linda, dass wir in den vergangenen 15 Monaten ungefähr 300 Mal (...) den Tag zusammen begonnen haben." Diese lustige Bemerkung wurde in Wokeness-Kreisen als eine sexistische Herabwürdigung von Frau Teuteberg empfunden; von Altherrenwitzen war die Rede. Dabei bestritt Lindner, dass die Bemerkung überhaupt als Witz gemeint war, da seine Arbeitstage tatsächlich mit einem Telefonat mit Frau Teuteberg begannen. Allerdings lachte eine Reihe von Anwesenden, was eher die These stützt, dass es sich doch um einen Witz gehandelt hat. Das politische Berlin ist jedenfalls aufgeschreckt und wird nun aktiv. Jetzt ist buchstäblich Schluss mit lustig!


Blicken wir einmal zurück! In der jüngsten Vergangenheit kam es wieder zu kontroversen Diskussionen über Witze, die nicht konform zu den mittlerweile sehr hohen Standards der Political correctness waren, etwa der Witz von Friedrich Merz über die schlechten Wahlkampfergebnisse einiger Politikerinnen (vor allem Annegret Kramp-Karrenbauers): „Es sei reiner Zufall, dass alle Sturmtiefs in 2020 Frauennamen trügen.“ Erinnern wir uns auch an den Eklat um Annegret Kramp-Karrenbauers Karnevalsrede. Worum ging es in dieser Debatte? Frau Kramp-Karrenbauer witzelte seinerzeit, dass die von der „Latte-macchiato-Fraktion“ ins Spiel gebrachten Toiletten für das „dritte“ Geschlecht wohl für Männer gemacht seien, die sich beim Pinkeln noch nicht zwischen Sitzen und Stehen entscheiden könnten. Dies brachte die Jünger (und Jüngerinnen) der Wokeness förmlich zur Weißglut! Allerdings waren die teilweise hämischen Reaktionen reaktionärer Kreise auf die Kritik an Annegret Kramp-Karrenbauers Rosenmontagsrede gänzlich unangebracht, deutete sie doch auf einen Missstand in der öffentlichen Debattenkultur hin. Es ist offenbar gänzlich unklar, wie die Bürger unseres Landes die politische Zulässigkeit eines Witzes beurteilen sollen, wenn selbst Fachmänner (und natürlich Fachfrauen!) der Political correctness wie Annegret Kramp-Karrenbauer, Ralf Stegner, Katarina Barley und Robert Habeck zu gänzlich unterschiedlichen Einschätzungen gelangen. So weit, so (un)witzig mag man denken. Doch viele Kommentatoren sahen in diesem Scherz eine Diskriminierung von „Menschen mit intersexueller Identität“ (Barley) und forderten gar eine Entschuldigung (Habeck). Allerdings kann man bei näherer Reflexion über die Bemerkung von Frau Kramp-Karrenbauer zu dem Ergebnis kommen, dass der Witz eigentlich zulasten der einzigen Gruppe geht, über die man sich uneingeschränkt lustig machen kann: (Alte) weiße Männer. Das männliche Publikum war bei dieser Rede übrigens mehrheitlich von weißer Hautfarbe und alt, und die 3. Toilette bildete lediglich den Rahmen für diesen Witz, sieht man einmal von dem kleinen Seitenhieb mit der Latte-macchiato-Fraktion ab. Angesichts der starken Verunsicherung des Otto-Normal-Witzekonsumenten, von dem man sicherlich nicht erst verlangen kann, die Witze genauestens auf ihre politischen Bestandteile hin zu analysieren, bevor er lacht (oder auch nicht), werden nun also erste Stimmen laut, die die Regulierung des Witzes durch die Festlegung eines geeigneten Rahmenwerkes fordern. In Berlin wird gar gemunkelt, dass Teile der SPD einen verbindlichen Rechtsrahmen (das sogenannte „Gute-Witze-Gesetz“) schaffen wollen, mit dem das Witzereißen zulasten diskriminierter Bevölkerungsgruppen eingeschränkt werden soll. Kritiker dieses radikalen Ansatzes verweisen auf den damit verbundenen hohen bürokratischen Aufwand, denn schließlich müsste der Vortrag eines nicht regelkonformen Witzes auch entsprechend sanktioniert werden. Als wenn dies nicht schon aufwendig genug wäre, würde die Sanktionierung derer, die über einen unkorrekten Witz lachen, die Gerichte endgültig über Jahre hinaus blockieren. Denn hier sehen Experten große Probleme bei der Beweisführung. Worin die einen ein glasklares Lachen erkennen, darin mögen andere nur ein Sichräuspern oder gar nur ein abschätziges Grunzen wahrnehmen. Wann ist also ein Witz überhaupt ein Witz?


Wenn auch viele den SPD-Vorstoß kritisch sehen, so scheint im politischen Berlin (ausgenommen natürlich die AFD und Teile der CDU/CSU) doch ein mehr oder weniger breiter Konsens über die Sinnhaftigkeit eines allgemeinen Rahmenwerks zu bestehen, auch wenn sich bereits deutlich zeigt, dass der Teufel wieder einmal im Detail steckt. Unstreitig ist bisher nur, dass Witze zu Lasten alter weißer Männer weiterhin zulässig sein sollen. Allerdings hat die SPD hier schon eine Einkommensuntergrenze gefordert. Bei einem Jahresgehalt unter 60T€ wären alte weiße Männer somit von Witzen ausgenommen. Die Linke hat sofort reflexartig nachgezogen und eine Untergrenze von „mindestens 40T€“ gefordert. Völlig unklar ist hierbei noch, ob bei dieser Betrachtung auch das Vermögensverhältnis eine Rolle spielen soll und andere wichtige Faktoren zu berücksichtigen sind. Dürfen etwa über Männer, die eigentlich aufgrund ihres geringen Einkommens ausgenommen sind, aber ihre Frauen schlagen oder im Stehen pinkeln, Witze erzählt werden? Von Teilen der SPD und den Grünen wird auch ein Vorschlag unterstützt, der eine Altersgrenze vorsieht, gemäß der Männer über 65 von besonders bloßstellenden Witzen ausgenommen werden sollen. Leichte Witze (sogenannte „humorvolle Bemerkungen“) wären aber auch über Männer jenseits der 65 möglich. Angeblich kam die Anregung zu diesem Kriterium von Ralf Stegner, der damit wohl auch pro domo spricht.


Frauen, Homosexuelle, Behinderte sowie Hartz-IV-Empfänger sollen grundsätzlich von Witzen ausgenommen sein, sofern es sich nicht um Diktatoren oder Mitglieder einer rechten Partei wie der AFD handelt. Somit wären also Witze wie der von Christian Lindner zukünftig nicht mehr möglich. Eine vergleichbare Regelung würde auch für ethnische Minderheiten oder kleinere Bevölkerungsgruppen gelten. Ostfriesen und Schwaben könnten also aufatmen. Schottenwitze wären allerdings von dieser Regelung nicht erfasst. Hier wird eine Regelung auf europäischer Ebene angestrebt.


Wie auch immer diese Empfehlungen ausfallen werden, versprechen sie doch bereits jetzt einen verlässlichen Rahmen für das zukünftige gute Witzeerzählen. Um die Ausarbeitung der noch offenen Details kümmert sich jetzt ein parlamentarischer Ausschuss unter der Leitung von Anton Hofreiter. Bei den Mitgliedern soll es sich um ausgewiesene Humorexperten wie Karl Lauterbach, Bernd Riexinger und Katja Kipping handeln. Von allen Seiten wird nachdrücklich betont, dass das Witzeerzählen grundsätzlich weiterhin möglich sein soll. „Alles darf prinzipiell gesagt werden“, wird ein Ausschussmitglied zitiert. Von einer Einschränkung der Meinungsfreiheit, wie sie von rechten Kreisen unterstellt wird, könne somit überhaupt keine Rede sein, da alle Entscheidungen rein freiwillig getroffen werden. Reaktionen der „Zivilgesellschaft“ könne man allerdings nur schwerlich beeinflussen. Zur Unterstützung der Witzeerzähler und -konsumenten soll eine Clearingstelle geschaffen werden, die in Zweifelsfragen Auskunft über die politische Zulässigkeit von Witzen gibt. Zudem soll die Einrichtung einer Hotline die für das Witzeerzählen charakteristische Spontaneität bewahren helfen.


Neben der Festlegung der zulässigen Personengruppen, sollen vom Ausschuss auch Beispiele für politisch zulässige Witze erarbeitet werden. Einige diese Musterwitze wurden bereits durchgestochen. Wir beschränken uns darauf, die Pointen wiederzugegeben: „Hahaha, das war doch Tofu!“, „Hahaha, Soja ist doch gar nicht glutenfrei!“ oder „Und dann schloss der vierzigjährige Mann mit einem Einkommen von 120T€ ohne Behinderung und nennenswertes Sozialengagement sein Elektroauto an die Starkstromsteckdose an!“. Sie sind sehr vielversprechend.


Dieser Artikel ist auch auf der Achse des Guten erschienen.( Artikel)





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