Ein Kreuz mit dem Kreuz
Auch für viele Journalisten ist die Virus-Krise eine Sauregurkenzeit, abgesehen vielleicht von den Vertretern des Wissenschaftsressorts, die sich mit den statistischen Kennzahlen des Robert-Koch-Instituts herumschlagen dürfen. Aber abseits von Corona hat es in den letzten Monaten kaum ein Thema gegeben, das die Öffentlichkeit sonderlich interessiert hätte. Am schwersten hatten es wohl die Kollegen vom Feuilleton. Sind deren Seiten auch in normalen Zeiten schon schwer sinnstiftend zu füllen, so war es in den letzten Monaten fast ein Ding der Unmöglichkeit: Kein Schauspiel, keine Oper, keine Ausstellungen, kein Ballett. Nada! Es gab förmlich nichts, was man dem Bildungsbürger ins rechte Licht rücken konnte! Nun aber regt sich wieder kulturelles Leben, und auch dieser journalistische Zweig erwacht langsam wieder zu neuem Leben.
So bot etwa die Errichtung des Kreuzes auf der Kuppel des Humboldt-Forums eine willkommene Gelegenheit, wieder einmal die alten ideologischen Schützengräben zu warten und zu durchlüften. Viele griffen begierig nach ihr, wobei die Fronten in den Standardpublikation wie erwartet verliefen. Die linken Blätter —Süddeutsche, TAZ, Frankfurter Rundschau …(also fast alle) waren natürlich reflexartig ablehnend—, Die Welt befürwortend. Stellung bezog auch Andreas Kilb, seines Zeichens „Feuilletonkorrespondent der FAZ in Berlin“, also Korrespondent einer Zeitung, die sich eigentlich keinem Lager zuordnen lässt, jedoch sehr bestrebt ist (vor allem im Feuilleton) nicht zu sehr das linke Establishment zu vergrätzen. Diesen Artikel wollen wir etwas näher betrachten, da seine Argumentation unter verschiedenen Aspekten interessant ist. Für alle diejenigen, die nicht im Detail mit der Geschichte des Berliner Stadtschlosses vertraut sind, soll zunächst kurz die Historie dieses Bauwerks skizziert werden.
Das Gebäude, in dem das Humboldt-Forum seinen Platz finden wird, ist in seiner Außengestaltung und Kubatur an das Berliner Stadtschloss der preußischen Könige angelehnt, dessen Ursprünge bis ins 15. Jahrhundert zurückreichen. Dieses Schloss wurde im Zweiten Weltkrieg stark zerstört und 1950 auf Betreiben vornehmlich von Walter Ulbricht gegen den großen Protest vieler Bürger und Organisationen gesprengt. Dies geschah, obwohl der Grad der Zerstörung wesentlich geringer ausfiel als in anderen Bauwerken (etwa beim Schloss in Charlottenburg oder dem Dresdner Zwinger), sodass der Befehl zum Abriss einem Akt der Barbarei gleichkam. Die Trümmer wurden abgetragen, um den monströsen Marx-Engels-Platz für die in der DDR so beliebten Aufmärsche und Paraden zu schaffen. In den Siebziger Jahren wurde schließlich auf einem Teilgrundstück der Palast der Republik errichtet. Als in der Postwendezeit absehbar war, dass dieses Gebäude wegen der Asbestbelastung abgerissen werden sollte, gründete sich sehr rasch eine Initiative zur Wiedererrichtung des Berliner Stadtschlosses. Nach endlosen Diskussionen in der Öffentlichkeit und in den politischen Kreisen wurde – wie kann es anders sein – ein für solche Fälle typischer Kompromiss geschlossen. Dieser sah vor, die nach Norden, Westen und Süden gerichteten Fassaden sowie teilweise den Schlüterhof —also die Fassaden der barocken Teile des Schlosses, die in mehreren Bauabschnitten bis zum 19. Jahrhundert errichtet worden waren, — zu rekonstruieren. Der Gestaltung des Architekten war der ganze Rest, also die Ostfassade, die Kuppel sowie bis auf den Schlüterhof die gesamte Gestaltung des Inneren überlassen. Der Siegerentwurf des italienischen Architekten Franco Stella sah vor, anstelle des ältesten östlichen Teils, der noch aus der Renaissance stammte, einen modernen Flügel einzuziehen, der quasi als Riegel zum östlichen Teil Berlins fungiert. Ironischerweise erinnerte dieser Ansatz an die Planungen zur Stadtgestaltung des alten DDR-Regimes, denn das in nord-südlicher Richtung auf dem Grundstück der ehemaligen Bauakademie und des Schinkelplatzes errichtete (etwas weiter westlich gelegene und 1996 abgerissene) Gebäude des DDR-Außenministeriums fungierte ebenfalls bereits als eine Art Riegel zwischen dem „Klassischen Berlin“ (Forum Fridericianum) und dem unter sozialistischen Gesichtspunkten gestalteten sich östlich davon anschließenden Teil der Stadt.
Das gemäß diesen Maßgaben wiedererrichtete Stadtschloss sollte ferner als sogenanntes Humboldt-Forum genutzt werden. Hier fängt es nun an begrifflich etwas schwammig zu werden. Zitieren wir aus dem Dokument der Abschlusskommission: Das Gebäude soll dazu dienen „die außereuropäischen Kulturen des … Dahlemer Museumsquartiers aufzunehmen. Dieses Konzept entspräche dem Denken des Weltbürgers Alexander von Humboldt.“ Ferner soll es „Werkstatt zur Teilhabe, ein Reflexionsort des Staunens, Innehaltens und Verstehens“ werden. Es sei einmal dahingestellt, ob dies dem Denken Humboldts wirklich entsprochen hätte, das Herumschwurbeln aber ist offensichtlich nicht eine Erfindung des letzten Jahrzehntes. Konkret wurde also eine Reihe von Museen in das Humboldt-Forum verlegt, die in Dahlem eigentlich prima aufgehoben waren, in der vagen Hoffnung daraus ein Konzept ableiten zu können. Die naheliegende Idee, ein Preußen-Museum an diesem Ort einzurichten, wurde nicht ernsthaft verfolgt. Dies ist umso bedauerlicher, da vor etwa zehn Jahren im Neuen Palais in Potsdam eine Ausstellung zur preußischen Geschichte und zu Friedrich dem Großen („Friederisiko“) gezeigt wurde, die hervorragend als Keimzelle für einen solchen Ansatz hätte dienen können. Man hat sich anders entschieden und nach vielem Hin und Her ein Konzept auf Basis der (politische opportuneren) Weltkulturen zusammengeschustert, mit dem kaum jemand richtig glücklich wurde und an dem entsprechend endlos herumgedoktert wurde.
Wozu also die Wiedererrichtung des Schlosses in seiner historischen Gestalt? Die Idee eines Wiederaufbaus des Schlosses kam bereits vor der Idee mit dem Humboldt-Forum auf. Selbst zu DDR-Zeiten wurde sie schon diskutiert und Honecker stand dieser Idee wohl nicht ganz abgeneigt gegenüber, waren doch unter seiner Herrschaft bereits die Semperoper und der Gendarmenmarkt wiederaufgebaut worden. Die Gründe für den Wiederaufbau wurden brillant und authentisch in den berühmten Essays von Wolf Jobst Siedler und Joachim Fest dargestellt. Es sind die dort aufgeführten Argumente, die viele Menschen dazu bewogen haben, Spenden für die rekonstruierten Fassaden zu entrichten. Neben der großen historischen Rolle (Siedler sprach davon, dass das Schloss Berlin gewesen sei), dem hohen künstlerischen Wert vieler Fassaden (insbes. der des Schlüterhofes) und der Innengestaltung, wurde insbesondere die zentrale Rolle des Schlosses für die es umschließenden Gebäude (Dom, Altes Museum, Zeughaus, Marstall), die allesamt in ihrer Ausrichtung und Gestalt Bezug auf das Schloss nahmen, hervorgehoben. Zudem fungierte das Schloss als Fluchtpunkt für die Straße Unter den Linden. Fest, Siedler und viele andere waren davon überzeugt, dass kein moderner Bau die durch die Sprengung des Schlosses entstandene Lücke sinnvoll hätte ausfüllen können. Ein gewichtiges Argument war auch, dass durch die Wiederrichtung schreiendes Unrecht des DDR-Regimes rückgängig gemacht würde. Ähnliche Beweggründe veranlassten bereits die Polen, den systematischen Wiederaufbau der Danziger und Warschauer Altstadt zu betreiben, und die Russen viele der von den Nazis und Kommunisten zerstörten Schlösser und Klöster wiederaufzubauen (etwa den Katharinenpalast südlich von St. Petersburg und die Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau). Dass viele ein analoges Argument für das Stadtschloss nicht gelten lassen wollten, sagt einiges über die zwiespältige Beurteilung der DDR als (Un)Rechtsstaat aus…
Der jüngste Stein des Anstoßes war nun also, da das Gebäude fast fertig ist, die Errichtung des Kreuzes und die Anbringung folgender Inschrift auf dem Kuppeltambour:
„Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“ (eine Zusammensetzung aus Stellen in der Apostelgeschichte bzw. dem Brief Paulus an die Philipper)
Errichtet wurden Kuppel samt Kreuz und Inschrift 1845–1853 auf Veranlassung des tiefreligiösen preußischen Königs Friedrich Wilhelms IV. (Das ist der, der sich 1849 weigerte die Kaiserkrone von der Deutschen Nationalversammlung zu empfangen.) Da die Kuppel die Schlosskapelle beherbergte, sind weder die Errichtung des Kreuzes noch die Anbringung der Inschrift als ungewöhnlich anzusehen. Es soll aber keineswegs geleugnet werden, dass Friedrich Wilhelm eine enge Verflechtung des preußischen Staates und seiner Institutionen mit den christlichen Religionen anstrebte—im Gegensatz zur aufklärerischen Grundhaltung vieler seiner Vorgänger (allen voran der Friedrichs des Großen).
Kehren wir also wieder zurück zum Artikel von Kilb, den wir als pars pro toto heranziehen. Denn genau an dieser Stelle knüpft die Kritik auch anderer Kommentatoren an. Kilb beklagt die Unvereinbarkeit dieses Symbols mit dem Konzept des Humboldt-Forums, das für ihn ein „Museumszentrum“ ist, „das sich der Gleichwertigkeit aller Kulturen und Religionen und der Aufhebung des eurozentrischen Weltbilds verschrieben hat.“ Vor diesem würden die Besucher, beklagt Kilb weiter, nun der „Verkündungsformel eines absoluten christlichen Herrschaftsanspruches“ ausgesetzt sein. Kilb spricht ferner von einer „Machtgeste des preußischen Königs“ und stellt eine Verbindung zum „Gottesgnadentum“ her, als welche Friedrich Wilhelm seine Herrschaft betrachtete.
Der Reihe nach. Kilb beklagt einen Umstand, der sich rein physikalisch erst einmal nicht leicht realisieren lässt, denn für einen Betrachter auf dem Vorplatz wird die Inschrift überhaupt nicht ersichtlich sein. Gewichtiger ist jedoch, dass Kilb einen anachronistischen Standpunkt einnimmt, indem er die Wirkkraft dieser Symbole durch die Perspektive der preußischen Herrschaftsklasse in der Mitte des 19. Jahrhunderts beurteilt. Es lässt sich nicht bestreiten, dass Friedrich Wilhelm seine Königswürde als Gottesgnadentum ansah, wie übrigens viele Herrscher in der Geschichte der deutschen oder anderer Staaten. Nur, ist die Inschrift der Kuppel nicht eher als Ausdruck seiner Religiosität und sogar als eine Art frommer Unterwerfungsgeste zu deuten? Denn es soll sich ja das Knie aller beugen, die auf Erden sind, also auch dasjenige des preußischen Herrschers! Aber wie immer man auch die Symbolik dieser Inschrift in der Mitte des 19. Jahrhundert beurteilen mag, sollte man nicht von den Besuchern eine gewisse Toleranz gegenüber längst überwundenen Symbolen, die lediglich ein Abbild der Vergangenheit darstellen, erwarten können? Ja, gewinnt dieser Ort nicht erst dadurch seine symbolische Kraft? Seht her: So war es! Schaut, was es nun wurde!
Laut Kilb hätten weder Kreuz noch Inschrift rekonstruiert werden sollen. Mit dieser Forderung ergibt sich übrigens eine weitere Parallele zu den Praktiken des DDR-Regimes, denn auch unter diesem Regime wurden die feudalen Hoheitszeichen rekonstruierter Gebäude entfernt, etwa bei der Alten Bibliothek auf der Westseite des Bebelplatzes. Kilb führt an, dass es vom Bundestag nie gewollt war, das Schloss exakt zu rekonstruieren, denn schließlich habe man ja eine Auswahl getroffen hinsichtlich der zu rekonstruierenden Teile. Somit sei die Entscheidung zur Errichtung des Kreuzes eine politische gewesen. Aber auch diese Begründung erweist sich bei näherer Betrachtung als unhaltbar. Selbstverständlich ist dieses Schloss (in seinen rekonstruierten Teilen) keine exakte Kopie des Zustands vor dem zweiten Weltkrieg. Dies ist zum einen gar nicht möglich, zum anderen auch nicht in allen Details wünschenswert, da es bspw. essentiell wichtig ist, die Figuren individuell zu gestalten, um Monotonie zu vermeiden. Letzteres ist auch in bewundernswerter Weise durch die mitwirkenden Künstler verwirklicht worden. Wer jemals eine der Werkstätten besucht hat, weiß wovon hier die Rede ist. Eine Rekonstruktion bzw. eine Restaurierung bietet ferner immer auch die Möglichkeit, markante Fehlentwicklungen zu beseitigen. Beim Wiederaufbau der romanischen Kirchen in Köln wurde etwa sorgfältig abgewogen, welche baulichen Veränderungen aus späteren Jahrhunderten nicht mehr rekonstruiert werden sollten, um die Kirchen wieder näher an die romanische Gestalt zurückzuführen. Auch die Frauenkirche ist nicht identisch mit der Kirche vor 1945, u.a. wurden logischerweise die Konstruktionsfehler des Architekten Bär bei der Gestaltung der Kuppel ausgemerzt. Ebenso ist die Semperoper, zweifellos ein Glanzstück unter den Rekonstruktionsbauten, mitnichten ein genaues Abbild ihrer Gestalt ante 1945. Niemand würde aber in Abrede stellen, dass die verantwortlichen Baumeister und Architekten gewissenhaft einen sinnvollen historischen Zustand neu fixiert haben (auch wenn es ihn historisch genau so nie gegeben hatte.)
Wie von Kilb beiläufig hervorgehoben wird, finanzierte ein privater Förderverein (Förderverein Berliner Schloss) entsprechend dem Beschluss des Bundestages die gesamten historischen Außen- und Innenhoffassaden des Berliner Schlosses durch Spenden. Dies erfordert laut Webseite des Vereins eine Spendensumme für die Fassaden in Höhe von 105 Mio.€. Dieser Verein und seine Unterstützer hatten es sich eben zum Ziel gesetzt, diese Teilekonstruktion so sorgfältig wie möglich zu gestalten. Es war dieses gemeinsame Ziel, das die die Phantasie der Spender beflügelte, und es ist schlichtweg unredlich, sie in Verbindung mit zweifelhaften politischen Motiven zu bringen. Dass entlang des Weges Kompromisse zu machen waren, versteht sich von selbst. So wurde etwa nicht darauf hingewirkt, die die Schlosskuppel flankierenden Uhrentürmchen wieder zu errichten. Bei anderen wichtigeren Teilen wurden aber sehr wohl Anstrengungen unternommen, sie durch zusätzlich Spenden zu ermöglichen, so etwa für das Eckrondell an der Südostseite und für die Balustradenfiguren (Zusatzbudget alleine hierfür: 12 Mio. €) über den Portalen und der Kuppel—und eben für die Kuppel selbst und ihr Kreuz. Allen diesen Maßnahmen lag—es sei noch einmal betont— die Absicht zugrunde, zumindest für die äußere Form des Schlosses den einzig sinnvollen Maßstab zugrunde zu legen: die Fassaden möglichst an die Originalformen vor 1945 heranzuführen.
Auch das Argument Kilbs, dass Form und Inhalt nicht korrespondieren, ist letztendlich substanzlos. Viele ehemalige Schlösser (z.B. im Louvre oder im Schloss Wilhelmshöhe) sind zu Gemäldegalerien umfunktioniert worden. Selbst die Nutzung des ehemaligen Klosters der Zisterzienser in Ebrach als Gefängnis oder die des Schlosses in Werneck (immerhin von Balthasar Neumann erbaut) als orthopädische Klinik funktioniert anscheinend reibungslos; zumindest scheint niemand daran Anstoß zu nehmen. Nein, wie die anderen Argumente ist auch dieses ein konstruiertes. Wenn etwas problematisch ist, dann ist es alleine die Unausgewogenheit des Inhalts selbst, die das Humboldt-Forum problematisch erscheinen lässt. Wie vage ist doch der Bericht der Expertenkommission gewesen! Wie schwer hat man sich damit getan, eine Leitung für dieses Projekt zu installieren. Wie problematisch waren die Änderungen (oder sollte man sagen die Konkretisierung) des Konzeptes bei laufendem Bau! Man wird sehen, wie diese bunte Mischung an ethnologischen Sammlungen (ergänzt durch das geplante Einheitsdenkmal an der Schlossfreiheit— die infantile Wippe) funktionieren wird. Wie auch immer man zur Frage der Form und des Inhaltes steht, das Aufsetzen des Kuppelkreuzes und die Anbringung der historischen Inschrift stehen der Funktion des Forums jedenfalls nicht im Wege.
Wer hätte übrigens an der Errichtung des Kreuzes und der Kuppelinschrift, die man, wie gesagt, kaum wahrnehmen kann, Anstoß nehmen sollen, wenn diese Diskussion nicht durch interessierte Journalisten erst aufgebauscht worden wäre? Wer hat denn heute noch überhaupt ein Gespür dafür, was das preußische Königtum einst bedeutete? Wen kümmerte es denn heute noch, welche Rolle die Kirche einst in diesem Land spielte? Ja, wen kümmert es, welche Rolle die Kirche heute spielt?! Kilb bezieht hier eine anachronistische Perspektive, indem er die Bedeutung der Symbolik auf die Gegenwart überträgt, die sie heute nicht mehr ansatzweise besitzt. Dies gehört wohl zu den perfideren Methoden, um sich an den Zeitgeist der zügellosen Political Correctness anzuschmiegen. Man muss es wohl so klar benennen. Damit befindet er sich übrigens in der Nähe von politischen Gruppierungen, die heute Churchill- oder Ghandi-Statuen vom Sockel stürzen wollen, weil sie eine geschichtslose Welt anstreben, da sie wohl meinen, nur in einer voraussetzungslosen Welt ohne die Vorprägungen der Historie den Traum von vollständiger Gleichheit und des absolut Guten realisieren zu können…
Kommen wir zum Schluss noch auf den Aspekt zu sprechen, der diese Analyse in einem weiteren Sinne interessant macht. Die traditionellen Zeitungen und der öffentlich-rechtliche Rundfunk werden von konservativen Beobachtern heftig kritisiert. Viele verwenden gar den hässlichen Ausdruck „Lügenpresse“. Dabei ist das wirklich Erstaunliche, wie sich die beiden Seiten einander völlig verständnislos gegenüberstehen, denn die angesprochenen Medien weisen diesen Vorwurf natürlich weit von sich, und zwar mit der vollsten Überzeugung. Sicher gibt es einen großen Einfluss von den Herausgebern/Intendanten eines Publikationsmediums auf die Inhalte, und spätestens seit dem Buch von Meinhardt Birk („Wie ich meine Zeitung verlor“; Besprechung folgt) weiß man, wie die Dinge bei der Süddeutschen Zeitung stehen. Bei der FAZ mussten ja auch schon manche Autoren ihren Hut nehmen, die nicht so ganz in das angestrebte Life-Style-Schema passten (etwa Don Alphonso, der seine Kolumnen nun bei der Welt veröffentlicht). Aber trotz dieser Evidenz für externe Eingriffe sind es vielleicht doch andere Phänomene, die hier entscheidender sind. Platon bzw. Sokrates spricht im Phaidros-Dialog über die Täuschung. Wer andere täuschen will, müsse genaueste Kenntnis der Gegenstände haben, über die er täuschen möchte. Die Täuschung bestehe dann darin, „immer um ein weniges durch Ähnlichkeit von dem, was jedesmal wahr ist, fortzuleiten…“ Das Bestechende bei dieser Form der Manipulation besteht also vielleicht darin, dass der Täuschende bei hinreichender Kunstfertigkeit und fortwährender Wiederholung, sich der Täuschung nicht mehr oder nur noch sehr indirekt bewusst wird. So betrachtet erscheint es plausibel, dass bei vielen Medien eine vollkommene Berechenbarkeit hinsichtlich der vertretenen Positionen besteht, zugleich aber die Autoren der festen Überzeugung sind, wirklich frei und unabhängig zu urteilen bzw. ihre Schlussfolgerungen objektiv zu deduzieren. Es geschah also wohl durch Kunstfertigkeit quasi wie von einer magischen Hand geführt, wie Kilb und andere die Errichtung der Kuppel im Einklang mit den Erwartungen ihrer Entourage beurteilten. Und zwar im vollsten Bewusstsein, dies aus freien Stücken zu tun. Vielleicht sollten sich die Kritiker einmal dahingehend prüfen, indem sie über die weisen Worte des Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, nachdenken: „Das Kreuz gehört auf die Schlosskuppel, weil das Gebäude einen historischen Kontext aufweist, und dieser geschichtliche Zusammenhang hat nun mal mit dem Christentum und mit christlicher Symbolik zu tun. Man sollte diesen Kontext nicht verschleiern oder zwanghaft abschaffen.“ Diesen Worten ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
Artikel in der FAZ:
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