Ein verborgenes Leben
Nachdem ich lange über den Plakataufmacher „Eine Kathedrale für die Sinne“ für den neuen Film von Terrence Malick, der aus der Zeitschrift Variety stammte, sinniert hatte (siehe meinen gleichnamigen Blog-Eintrag), machte ich mich schließlich auf, den Film zu sehen. Es hat sich gelohnt, allerdings nicht in einer Weise, die der geneigte Leser jetzt vielleicht vermuten möchte. Denn, um es vorweg zu nehmen, der Film war eine Enttäuschung. In „Ein verborgenes Leben“ wird die Geschichte des österreichischen Landwirts Franz Jägerstätter erzählt, der vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt wird, weil er aus Gewissensgründen den Dienst in der Wehrmacht verweigert. Sofern man Wikipedia Glauben schenken kann, wäre der wirkliche Jägerstätter gemäß dem Protokoll des Reichskriegsgerichts allerdings bereit gewesen zumindest Sanitätsdienst zu leisten. Der Franz Jägerstätter des Films lehnt jedoch selbst diesen Kompromissvorschlag, der ihm von seinem Anwalt als sicherer Weg zur Freilassung aus dem Gefängnis dargestellt wird, ab. Diese Zuspitzung der Kompromisslosigkeit Jägerstätters durch den Regisseur ist auch schon der Schlüssel zum Verständnis dieses Films und auch seines Scheiterns. Denn der Protagonist soll als Märtyrer dargestellt werden, der bedingungslos in einer übermenschlichen Weise seiner inneren Stimme, seinem Gewissen folgt. Diese Haltung ist schon vom Beginn des Films vollständig ausgeprägt, sie unterliegt keinerlei Entwicklung mehr.
Gezeichnet wird ein ländliches Idyll der Bergbauern der Gemeinde Sankt Radegund in Oberösterreich vor der Einberufung Jägerstätters. Nachdem bekannt wurde, dass Jägerstätter der Einberufung nicht folgeleisten will, werden er und seine Familie immer mehr von der Gemeinde geschnitten und sind auch offenen Feindseligkeiten ausgesetzt. Der Bürgermeister, ein überzeugter Nazi, trägt maßgeblich zur Ächtung der Familie in der Gemeinde bei. Als überzeugter Christ wendet sich Jägerstätter an den Pfarrer der Gemeinde und auch an den zuständigen Bischof. Allerdings dienen diese Gespräche im Film lediglich als Folie für die kompromisslose Märtyrerhaltung von Jägerstätter, denn sowohl der Pfarrer als auch der Bischof sind sich der großen Gefahren, denen sie sich unter diesem Regime aussetzen, und der Aussichtslosigkeit des Unterfangens von Jägerstätter sehr deutlich bewusst. Es sind gewöhnliche Menschen, keine Märtyrer! Der Film lässt einen dies zu deutlich spüren, als dass sich hier ein interessanter, dramatisch relevanter Konflikt ergäbe. So bleiben diese Gespräche eher banal und vorherberechenbar, wie auch das Gespräch von Jägerstätter mit dem vorsitzenden Richter des Reichskriegsgerichts. Letzterer wird von Bruno Ganz gespielt, der schon von seinem nahen Tode gekennzeichnet ist, und vielleicht auch deshalb merkwürdig blass bleibt. Nach Jägerstätters Verhaftung muss seine Frau die anstrengende Last der Landarbeit und der Erziehung drei Kinder (allesamt Mädchen) alleine tragen und ist dabei weiterhin den Feinseligkeiten der Gemeinde ausgesetzt.
Der Film hatte eine Länge von fast drei Stunden und man denkt eigentlich ständig, dass er eine unglaublich lange Einleitung hat und wartet auf die dramatische Zuspitzung, etwa eine tiefergehende Behandlung des Gewissenskonfliktes angesichts der Aussicht, dass Jägerstätters kleine Kinder ohne Vater aufwachsen werden. Dieser wird zwar angerissen, aber wieder in einer film-dramatisch gänzlich unergiebigen Weise, denn der Jagerstätter des Films ist eben von Beginn an ein Märtyrer, der aus einem inneren Antrieb heraus eben gar nicht anders kann, als sich buchstäblich zu opfern. Angesichts der politischen Situation im Deutschen Reich von 1943 ist dies der einzig sinnvolle Begriff. Hierin zeichnet der Film eine Parallele zur Passionsgeschichte Jesu Christi, etwa durch die Verwendung von Musik aus der Matthäuspassion. Aber der Film hat eben keine Szene, die der Nacht in Gethsemane vergleichbar wäre, er hat keinen Pontius Pilatius, der seine Schuld erkennt und seine Hände in Unschuld wäscht. In seinen besten Tagen hätte es Bruno Ganz bei einem entsprechenden Drehbuch sein können. Die Darstellung der Gewissensvorgänge der Beteiligten wäre ein interessantes Thema für den Film gewesen, aber Malick hat sich (vielleicht) bewusst dagegen entscheiden.
Und so besticht der Film zwar durch eine unglaubliche Fülle von Landschaftsaufnahmen –Berge, Wiesen, Häuser. Das ist eindrucksvoll, aber auf die Dauer etwas langweilig und im Detail teilweise doch sehr fragwürdig. Beackert wird das immer gleiche kleine Feld, was nicht im Ansatz genügen würde, um eine fünfköpfige Familie zu ernähren. Nimmt der Regisseur wirklich an, dass Kartoffeln so gepflanzt und geerntet werden, wie im Film dargestellt? Er hat es in seinem Leben sicher noch nicht gemacht. Überhaupt wirken alle Tätigkeiten auf dem Hof merkwürdig ungelenk und mühsam, so als wären sie genau für den jeweiligen Take einstudiert (etwa das Harken von Heu oder die Handhabung von Sensen). Man hätte vorher vielleicht einen richtigen Bauern zu Rate ziehen sollen! Ferner: August Diehl mag viele Rollen sinnvoll verkörpern, den intellektuellen SS-Obersturmbannführer nimmt man ihm in Quentin Tarrantinos Film Inglorious Basterds ab, aber keinesfalls ist er für die Darstellung eines Bergbauern geeignet. Überhaupt ist das idyllische Bild, welches da von dem Leben der Bergbauern zu Beginn des Films (also vor der Einberufung von Jägerstätter) gezeichnet wird, wohl eher eine Fiktion, denn der Alltag der Bauern war in diesen Landstrichen sehr hart und bestand in erster Linie aus Arbeit—von morgens bis abends. Es mag bezweifelt werden, dass Franz Jägerstätter und seine Frau so viel Zeit hatten, sich in Wiesen rumzufläzen oder mit den Kindern Blindekuh zu spielen.
Gelohnt hat sich der Film jedoch in einem indirekten Sinne. Er verdeutlich wieder einmal, wie oft mittlerweile ästhetische Prinzipien mit moralischen Prinzipien vermengt werden. Nur so sind die teilweise überschwänglichen Besprechungen in anderen Medien (etwa Variety) erklärbar. Filme gut zu finden, die den Lebensweg eines vermeintlich edlen Individuums skizzieren (oder allgemein gesagt: die Beurteilung von Filmen nach moralischen Gesichtspunkten), scheint dem Zeitgeist, der von der Political Correctness geprägt ist, zu entsprechen. Man erinnere sich dieser Worte, wenn demnächst wieder einmal ein Film im Heute Journal besprochen wird…
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