Götterdämmerung an der Staatsoper Berlin
Gestern kam der Premierenzyklus des Rings an der Berliner Staatsoper mit der Götterdämmerung zu seinem Abschluss. Musikalisch wie von der Inszenierung her waren die Würfel bereits gefallen, sodass nur wenig zu den anderen Rezensionen hinzuzufügen ist.
Nach ihrer Liebesnacht im Siegfried (tragischerweise ihrer einzigen!) sieht man zu Beginn der Götterdämmerung, wie die "Siegfrieds" die recht gut eingerichtete Hunding-Hütte bezogen haben; also jene Hütte, in der bereits Siegfrieds Mutter bzw. Brünnhildes Halbschwester gewohnt hat. (Brünnhilde ist ja zugleich Siegfrieds Braut als auch seine Tante.) Tscherniakov bleibt seinem Konzept treu: Alle den Mythos betreffenden Elemente werden entweder ganz weggelassen oder durch die Brille der Ironie bis zur Lächerlichkeit verfremdet (kein Weltenbrand, keine reitende Waltraute, keine Rheinfahrt, rein gar nichts!). Tscherniakov hat den "Ring" vollständig entkernt und seine eigene Ring-Story erschaffen.
Zunächst haben jedoch die Nornen ihren Auftritt, zittrig und tattrig wie die greise Papagena in der Zauberflöte. Während es dort Lacher hervorruft, wirkt es hier eigentlich nur peinlich. Diese Tendenz zur Schmiere setzt sich auch in der anschließenden Abschiedsszene von Brünnhilde und Siegfried fort. Grane wird wieder in Form eines Kuscheltiers dargestellt, das sich Siegfried auf den Kopf setzt. So auch in der anschließenden Szene in der Halle der Gibichungen (in Wirklichkeit ein Sitzungssaal im Forschungsinstitut E.S.C.H.E.): "Wohl hüte mir Grane! Du hieltest nie von edlerer Zucht am Zaume ein Roß." Siegfried der Simplicius Simplicissimus! Aber, hihihihi, ist ja alles nur Experiment! Gutrune und Gunther werden als eine Art smarter Unternehmensberater dargestellt, die ob Siegfrieds Tumbheit stets den Drang unterdrücken müssen vor Lachen loszuprusten. Vor lauter Langeweile (die wohl nicht nur die Zuschauer beschlichen hat) rauchen sie eine Zigarette nach der anderen. Jemand, der mit den Realitäten der Wirtschaft vertraut ist, hätte Herrn Tscherniakov sagen sollen, dass solche Leute heutzutage vielleicht Cola Light trinken oder nachts etwas schnupfen, aber sicher nicht mehr Zigaretten rauchen. Hagen ist durch einen Blutschwamm im Gesicht stigmatisiert, raucht aber auch sehr viel. Alberich erscheint als Greis im Lendenschurz... Kürzen wir an dieser Stelle ab: Die Jagdszene schließlich im dritten Akt, in der Siegfried ermordet wird, spielt in einer Basketball-Halle. Warum auch nicht, hier kommt es auch nicht mehr darauf an! Die Erlösung erfolgt schließlich, wenn Brünnhilde erkannt hat, dass sich das ganze Drama im Rahmen der Esche-Experimente abspielt hat (oder den ganzen Schwindel der Tscherniakovschen Inszenierung durchschaut hat - je nach Sichtweise) und durch die Rückgabe des Rings an die Rheintöchter (eigentlich Angestellte von E.S.C.H.E.!! - aber egal, reiten wir auf solchen lächerlichen Details nicht herum!) das Forschungsinstitut zum Untergang gebracht wird. Zum Schluss versteht ein Zeuge dieses Inszenierungsmurkses genau, warum Wotan nur noch eines wollte: nämlich das Ende!
Entsprechend stark waren die Buhrufe, aber das störte sicher niemanden vom Regieteam. Es gab auch sicherlich genügend Zuschauer, die dies alles ganz toll fanden, gehört es ja zum vorherrschenden Zeitgeist, Neues, Diverses und Umstürzlerisches irgendwie gut zu finden, und sei es auch noch so geistlos. Für die Musiker gab es lange anhaltenden Jubel. Einzelne Buhrufe für Anja Kampe (Brünnhilde). Mir hat sich nicht erschlossen, warum.
Musikalisch bewegte sich wieder alles auf höchstem Niveau, wenn es diesmal doch deutlich mehr kleinere Fehler und Ungenauigkeiten gab als in den vorhergegangenen Teilen. Manche Vorgabe von Thielemann wurde vom Orchester wohl nicht umgesetzt. Zudem gab es Wackler, vor allem im Blech. Wir wollen jedoch nicht den Beckmesser spielen, denn es war trotz allem ein wirklich großer Abend - musikalisch wohlgemerkt. Welche der Ring-Dirigate Thielemanns die bedeutendsten waren? Die in Berlin, in Wien, in Dresden oder Bayreuth? Zur Entscheidung dieser Frage sieht sich der Rezensent nicht in der Lage. Im Zweifel immer gerade die letzten!
Die Sänger waren auf dem gleichen Niveau wie beim Siegfried. Nornen und vor allem die Rheintöchter haben stimmlich wunderbar harmoniert. Gunther (Lauri Vasar) und Gutrune (Mandy Friedrich) waren würdige Ergänzungen, Hagen (Mika Kares) ein fulminanter, wirklich schwarz-finsterer Hagen!
So, das war nun also die zweite der über Jahre so sehnsüchtig erwarteten Ringinszenierungen in Berlin. Nach der an der Deutschen Oper wurde auch die hier an der Staatsoper in den Sand gesetzt. Somit wurde eine sehr gute (die legendäre von Götz Friedrich an der Deutschen Oper) und eine immerhin passable (die von Guy Cassiers an der Staatsoper) durch zwei sehr schlechte ersetzt. Ein bedenklicher Trend, der sich auch an anderen Häusern so manifestiert. Vielleicht hat das Regietheater, wie manche raunen, tatsächlich schon das Ende dieser Kunstform eingeleitet? Vielleicht sollte man Opern zukünftig tatsächlich nur noch konzertant aufführen?
Für eine konzertante Aufführung eines der "Ringe" würde der Rezensent vielleicht noch einmal nach Berlin reisen, nicht aber für eine szenische.
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