Walküre an der Staatsoper Berlin
Nach dem Rheingold der erste „Tag“ des Ringes mit der Walküre. Er offenbarte, in welche Falle der Regisseur Dmitri Tscherniakov mit seinem Konzept, den Ring in einem Forschungslaboratorium anzusiedeln, in der Daten und Technologie das neue Rheingold repräsentieren, getappt ist. (Zu Beginn des Vorabends entfloh Alberich einem Laboratorium, in der die Rheintöchter mit ihm Stress-Experimente ausführten, und stahl die technische Ausrüstung.) Das Grundproblem beim Ring besteht nämlich darin, dass er eben nicht aus einer Idee heraus stringent erklärt werden kann. Diesen Fehler machte schon George Bernhard Shaw in seinem Wagner-Brevier, in dem er den Ring ganz unter dem Aspekt der Kapitalismuskritik deutete. Im Rheingold mag das noch stimmig sein, in kleinen Teilen auch noch im Siegfried und in der Götterdämmerung. Überhaupt nicht funktioniert es jedoch in der Walküre, die im Grunde als romantische Oper gedeutet werden kann. Hier geht es um Liebe und tragisches Abschiednehmen. Siegmund von Sieglinde, Wotan von seinem Machtanspruch. Wotan von seiner geliebten Tochter Brünnhilde. (In der Opernliteratur gibt es keine ergreifendere Szene als die Schlusszene des 3. Aktes, wenn Wotan Brünnhilde die Gottheit von ihr abküsst.) Die Walküre bietet einfach keinen Anknüpfungspunkt für die Kopfgeburt von Tscherniakov, und so war die Inszenierung dann auch ziemlich konventionell. Hundings Hütte, der nach seiner Ankunft in bequeme Hausschuhe schlüpfte, war eine spießige Durchschnittswohnung mit transparenten Wänden. Später dann wieder Sitzungsräume im Laboratorium, wo Fricka Wotan dazu nötigte, Verträge („nimm den Eid“) zu unterzeichnen. Im dritten Akt dann eine Art Vorlesungsraum, in dem die Walküren sich versammelten. Eine Tafel kündigte an, dass es um Auswertung von Experimenten ging. (So wollte Tscherniakov doch noch sein Konzept krampfhaft reindrücken.) Den Rezensenten beschlich die leise Hoffnung, dass es sich um eine selbstironische Anspielung auf den Entstehungsprozess für sein Ringkonzept handelte (à la Tscherniakov und seinem Regieteam, bestehend aus indoktrinierten Studentinnen frisch von der Hochschule, die seine Kopfgeburt ausformen), aber weit gefehlt. Die Zuschauer wurden beim “Feuerzauber“ auf den harten Boden der Tscherniakov-Realität zurückgeworfen: Wotan und Brünnhilde ordneten die Stühle zu einem Kreis an, und Brünnhilde krakelte mit einem roten Filzstift gezackte Striche auf die Rückenlehnen. Dazu lachten beide ganz vergnügt, da ja alles ganz ironisch unter der übergeordneten „Laboratoriumsperspektive“ zu betrachten sei. Sepätestens zu diesem Zeitpunkt beschlich den Autor dieser Zeilen das Gefühl, dass die Laboratoriumsebene nur eingezogen wurde, um sich um die schwierigen Stellen der Inszenierung zu drücken: im Rheingold keine Verwandlungszenen, kein Walhall, kein Regenbogen, hier kein Brünnhildenfelsen; eine Theorie, die schon am Donnerstag im Siegfried überprüft werden kann.
Die Laboraturiumsutensilien (etwa die Tierkäfige) wirkten in der Walküre bereits wie Fremdkörper. Die ganze Herangehensweise erinnert übrigens ein wenig an den Entwurf für den Ring von Frank Castorf bei den Bayreuther Festspielen. Für Castorp war Öl das neue Gold, und auch in seiner Inszenierung funktinierte das wunderbar im Rheingold (viel besser als bei Tscherniakov), aber auch in seiner Inszenierung wirkten die Ölförderanlagen bereits in der Walküre wie überflüssige Versatzstücke.
Bei der Erörterung der rein musikalischen Aspekten kann nahtlos an die Ausführungen zum Rheingold angeknüpft werden. Orchester und Dirigent waren brillant! Die Walküre liegt Thielemann noch mehr als das Rheingold. Beglückend wie er das Orchester dazu bringt in einem hauchzarten Piano zu spielen („Im Bach erblickt ich mein eigen Bild“), harmonisch alle Crescendi ohne jeglichen Manierismus.
Michael Volle erfüllte sein Versprechen, das er im Rheingold gegeben hatte. Er ist dieser Rolle vollends gewachsen (welcher „Wotan“ sonst noch könnte das von sich behaupten?), wenn er den Text auch manchmal etwas frei interpretiert. Auch über Anja Kampe muss nicht viel gesagt werden. Sie hat in dieser Rolle schon oft brilliert und ist immer noch auf der Höhe ihres Könnens. Herausragend auch Vida Minevičiūté als Sieglinde. Eine Sängerin von solcher Strahlkraft begegnet man nicht oft. Das Berliner Publikum war sehr sachkundig. Es verteilte seinen Applaus und Jubel in überaus großzügiger Weise, aber auch seinen Unmut. Diesmal traf es den jungen amerikanischen Tenor Robert Watson, der in der Rolle des Siegmund nicht so recht überzeugen konnte. Er hatte in den tieferen Registern erkennbar Mühe und konnte auch in der
Höhe keine rechte Stahlkraft entfalten. Für mittlere Häuser hätte es gereicht, nicht aber für dieses Haus! Und schon gar nicht für diese Aufführung an diesem Abend!
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